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Haemophilia
In den 1950er- und 1960er-Jahren bestand die Behandlung von Hämophilie B aus gefrorenem Frischplasma (GFP), das intravenös verabreicht wurde. Dafür musste man als Patient im Schnitt einmal im Monat drei bis fünf Tage im Krankenhaus verbringen. Da jede Konserve GFP nur eine kleine Menge des fehlenden Gerinnungsfaktors enthielt, waren große Volumina nötig, um Gelenkblutungen zu stoppen. Und GFP wirkte nicht effektiv bei operativen Eingriffen – so endete beispielsweise eine einfache Blinddarmentfernung mit großer Wahrscheinlichkeit tödlich.
Es ist schon eine seltsame Krankheit, weil man eine Woche pro Monat sehr stark eingeschränkt ist, die restliche Zeit über aber fast normal lebt. Ich verpasste zwar ein Drittel meiner Schultage, aber dafür hatte ich viel Zeit zum Lesen. Im Krankenhaus habe ich gelernt, wie man selbstständig lernt, was eine wirklich wichtige Fähigkeit im Leben ist. Damals verbrachten die Kinder regelmäßig viel Zeit im Krankenhaus und natürlich haben sie dort auch Freundschaften geschlossen. Weil es heutzutage möglich ist, die Krankheit zu Hause zu behandeln, gehen die Kinder jetzt nur noch ein- bis zweimal im Jahr zu routinemäßigen Untersuchungen ins Krankenhaus. Deshalb haben sie nicht mehr solche Krankenhausfreundschaften mit anderen Kindern, die von derselben Krankheit betroffen sind. In der heutigen Zeit werden solche wertvollen Kontakte in Ferienlagern geknüpft.
In den frühen 1970er-Jahren kamen Gerinnungsfaktorkonzentrate auf den Markt, die man zu Hause verabreichen konnte. Ich habe schnell gelernt, wie ich mir die Infusion selbst verabreichen kann und das hat alles verändert. 1972 habe ich eine Fahrradtour quer durch Europa gemacht, von England bis nach Athen. Das wäre nie möglich gewesen, hätte ich meine Konzentrate nicht mitnehmen können. Heute gibt es Kinder, die aufgrund der modernen Behandlungsmöglichkeiten eine auftretende Blutung nicht mehr erkennen und auch die Folgen einer Blutung nicht kennen. Wir müssen diesen Kindern beibringen, warum es zu Blutungen kommt, wie man sie erkennt und wie man ihnen vorbeugt. Die Präventivbehandlung für Kinder wirkt sich langfristig wirklich enorm auf die Gesundheit ihrer Gelenke aus. Unsere Kinder sollen so aufwachsen, dass ihre Gelenke in gutem Zustand sind und nicht später im Leben wiederhergestellt werden müssen.
Meine Botschaft für junge Menschen ist es, kompetent und aktiv an der eigenen Gesundheitsversorgung mitzuwirken. Es geht dabei schließlich um das eigene Leben.
Ältere Menschen mit Hämophilie leiden bei jedem Schritt, weil buchstäblich jeder Schritt Schmerzen verursacht. Der Schaden entstand bereits in ihrer Jugend. Zum körperlichen Schmerz kommt noch das seelische Leid hinzu. Mancher fühlt sich sozial isoliert und nicht in der Lage, in vollem Umfang am gesellschaftlichen Leben teilzunehmen. Manchen fehlt die Bildung, weil sie nicht zur Schule gehen konnten. Andere empfinden sich als Last für ihre Familie. Der heutigen jungen Generation in Kanada wird dieser Schmerz und dieses Leid meist erspart bleiben. Ja, sie müssen immer noch häufige Nadelstiche über sich ergehen lassen, aber verglichen mit der Vergangenheit ist das ein Unterschied wie Tag und Nacht. Heute sind Inhibitoren der schlimmste Alptraum der Eltern. Wenn sich bei einem Kind ein Inhibitor bildet, ist das wie eine Zeitreise von 50 Jahren in die Vergangenheit.
In den frühen 1980er-Jahren trug die Kanadische Hämophilie Gesellschaft zum Aufbau eines Netzwerks von Hämophilie-Behandlungszentren in ganz Kanada bei, um Patienten während ihres gesamten Lebens eine umfassende medizinische Versorgung zu bieten. In Kanada gibt es 25 solcher Zentren. Der Patient steht im Mittelpunkt eines umfassenden Versorgungsangebots. Zu diesem zählen ein ausgebildeter Hämatologe, eine Pflegekoordinationskraft, ein Physiotherapeut zur Prävention und Rehabilitation sowie ein Sozialpädagoge und ein Psychologe zur Unterstützung bei der Bewältigung des Lebens mit einer chronischen Krankheit.
Für Eltern ist es eine Gratwanderung: Sie müssen einen Mittelweg zwischen übermäßigem Behüten einerseits und zu großer Sorglosigkeit und Leugnen der Krankheit andererseits finden. Manche Eltern sagen: „Mein Kind ist völlig normal, es kann alles machen.“ Das stimmt so nicht ganz. Ich ermuntere alle, sich viel Wissen über die Krankheit ihres Kindes anzueignen und gegenüber anderen so offen wie möglich damit umzugehen.
In Industrieländern ist die Krankheit heutzutage sehr gut behandelbar und die Lebenserwartung ist nahezu normal. In vielen Ländern sieht es allerdings fast noch so aus wie vor 50 Jahren: ohne Zugang zu Faktor VIII-(FVIII-) und Faktor IX-(FIX-)Präparaten und mit mangelndem Wissen um die Hämophilie in den Krankenhäusern. Weltweit gesehen haben 75% aller Menschen mit Hämophilie unzureichenden oder gar keinen Zugang zu einer Behandlung. Viele Patienten sterben noch vor ihrem 20sten Geburtstag und falls sie länger leben, haben sie Behinderungen. Seit 20 Jahren unterhält die Kanadische Hämophilie-Gesellschaft zehn erfolgreiche Partnerschaften mit Entwicklungsländern. Sie hilft ihnen, ihre eigenen Hämophilie-Organisationen aufzubauen und unterstützt sie dabei, ihre Mitglieder zu schulen und sich für die Patientenversorgung einzusetzen.
Die Infektion tausender Kanadier mit HIV und Hepatitis C war die schlimmste vermeidbare gesundheitliche Katastrophe Kanadas. Es war eine furchtbare Zeit für alle: Betroffene, Familien und Leistungserbringer im Gesundheitswesen. Auch heute noch gibt es Menschen, die mit den Folgen zu leben haben, und manche konnten nie wieder Vertrauen zum Gesundheitssystem fassen. Diese Krise war außerordentlich tragisch, aber sehr lehrreich. Die Krever Commission (1993–1997) wurde eingerichtet, um Anschuldigungen zu untersuchen, wonach ein Netz aus privaten, sowie Regierungs- und Nichtregierungsorganisationen, die für die Versorgung des Gesundheitssystems mit Blut und Blutprodukten zuständig waren, die Verwendung von kontaminiertem Blut zugelassen habe.
Wir sind eine streitbare und anspruchsvolle Community. Auch allgemein sind Menschen mit Hämophilie ziemlich hartnäckig. Sobald wir uns einmal etwas in den Kopf gesetzt haben, lassen wir so schnell nicht davon ab.
Viele unserer Mitglieder sagten als Zeugen aus, auch ich. Es war extrem schmerzlich zu hören, was passiert war, und zu erfahren, dass einiges hätte verhindert werden können. Die Krever Commission veranlasste viele Änderungen bei Blutversorgungssystemen weltweit und ich bin stolz auf das, was wir erreicht haben.
In Kanada wird zurzeit die bezahlte Plasmaspende heiß diskutiert. Unsere Organisation vertritt den Standpunkt, dass Produkte von Spendern, die ein Entgelt erhalten, ebenso sicher sind wie unentgeltliche Spenden. Wir benötigen mehr Plasma und das erreichen wir nur durch bezahlte Spenden. Andere halten das aufgrund der Probleme in den 1970er- und 1980er-Jahren für inakzeptabel. Allerdings sollte jeder seine Vorurteile infrage stellen und ganz nüchtern die Wissenschaft und die Fakten betrachten. Die Situation hat sich seit dem Skandal um das kontaminierte Blut stark geändert und dank der umfangreichen wissenschaftlichen Fortschritte sind wir jetzt viel weiter als damals. Der zentrale Aspekt ist die Versorgung der Patienten mit sicheren Produkten.
Wir sind eine streitbare und anspruchsvolle Community. Auch allgemein sind Menschen mit Hämophilie ziemlich hartnäckig. Sobald wir uns einmal etwas in den Kopf gesetzt haben, lassen wir so schnell nicht davon ab. Das rührt daher, dass wir als Kinder vor Herausforderungen standen und häufig mit Medizinern zu tun hatten, die nicht wirklich wussten, wovon sie sprachen. Wir wussten schon im Alter von vier Jahren, welche unserer Venen die besten für die Behandlung waren, und wir wurden Assistenzärzten überlassen. Wir mussten uns also schon als kleine Kinder behaupten, um die Versorgung zu erhalten, die wir brauchten.
Zum Glück muss die junge Generation heute nicht mehr das durchmachen, was wir in den 1980ern erleben mussten. Die Kanadische Hämophilie-Gesellschaft wirkt in vielen Ausschüssen zur Sicherheit von Blut und bei zahlreichen medizinischen Konferenzen mit. Wir bemühen uns, auch die jüngere Generation einzubinden und ihnen so die Möglichkeit zu geben, ihren legitimen Platz in den Entscheidungsprozessen einzunehmen. Mein Ziel ist es jetzt, mein Wissen an die jüngere Generation weiterzugeben. Meine Botschaft für junge Menschen ist es, kompetent und aktiv an der eigenen Gesundheitsversorgung mitzuwirken. Es geht dabei schließlich um das eigene Leben.
Haemophilia